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Knochenlese

Ein deutsches Oratorium

von  D o m i n i k  D o m b r o w s k i


Dritter Teil:

No. 13 Orchester-Vorspiel


No. 14 Wechselchor und Sopran Solo

I.
Früher, nachts, als die Landstraßen
noch verwaist waren
und uns ein Häuserwind
um die Bordsteine wehte,
wie man so sagte,
da schauten wir noch,
mitunter melancholisch,
hinter die stummen
Straßenlaternen, dorthin,
wo die Igel im Mondlicht
spielten.


II.
Hin und wieder
trugen wir einige sanft
über die Fahrbahn.
Jedoch reichte es später
zusehends nur noch
zum Kadaverkratzen,
nachts in den
stürmischen Landstraßen.


I.
Neulich dann knallte ein
Opelomega weiter unten
gegen die bis dahin
friedliche Ampelanlage.
Traurig und einsam tänzelte
das Rotgelbgrün
dem Fahrer ums
gebrochne Genick herum.
Das Autoradio tönte emsig
"Papa was a rolling stone"
in die bunte Szenerie.


II.
Einer Anzahl Beifahrer versagten
Deo und Schließmuskel,
worauf sie rätselten und
das Radio leiser drehten,
fühlten sie doch
ehrfürchtig und bewegt
ihre Beschissenheit
wie ein Te Deum.
Angewurzelten Blicks
verfolgten sie
diverses Hauskatergedärm
zum Vorderreifen hin,
wo ein Regen
es porös wusch.


I.
Schließlich befaßte sich
der Verkehrsfunk mit ihnen.


II.
Da salbten sie sich.


I.
Und stellten das Radio wieder laut.


II.
Und kosten sich.


I.
Und brachen in Gesang.


Sopran:
Ich servierte ihnen einen Wodka-Tonic,
bis auf den Fahrer, der ja
ohnehin minderjährig war
und wohl auch blieb.
Ach, aber auch ich
will nicht mehr fortgehen
von hier,
denn es führen ja alle
Richtungen in Derartiges.
Ach, und ich sah noch
im aufgerissenen Leib
des verendenden Katers
das Herz im Mondlicht
schlagen.
Ach, jetzt will ich zusehen,
daß auch mir nach
absehbarem Sein das
Mondlicht im Halse stecken bleibt
und ein Fahrtwind mich
ins Nichts schwemmt.


No. 15 Terzett und Tenor Solo

Lied:
Lieb Acheron am Schnaps:
Du Nichts an
Stunden an deren
Fluchten kalter Samen
nistet.
Ein gelungener Abend,
das ist
wie ein Strandgutfund,
die Fülle der
Gleichgültigkeit läßt es
dir als Glück
und geht.
Aber das bleiben
die lebendigsten Momente,
der Rest
ist das gesamte
Dasein.
Steige du nun
weiter in die
leeren Firmamente
aus Sternen, schneller
als der Tod.
Kein Sinn, kein Acheron,
kein Glauben, keine
blauen Blumen gilt es
auszukunden.
Hier ein Meer,
dort seine Ufer mit
nächtlichen Steinen.
Das bleibt zusammen
still und beides
für sich allein.


No. 16 Bariton Solo

Sonnenhelles wartet
im Rücken der Berge.
Bald platzt mit ihm
ein Büdel Schichtarbeiter
in die Frühe
und erobert die Welt.

Auf einzelnen Grünarealen bewegt sich was und endet.
Insekten sirren,
Astronauten surren.
Ein Himmel aus Milch
tunkt die Dächer
sauer.

Ein Gaspedal dauert.
Man ist dabei beim Stelldichein
der Ampelfrage,
jemand sagt "Mama!"
Ein anderer: "Mausi!"

Alte fette Kirchen feilschen
um Glaube und onanieren
Oblatenverdauung mit Pelzersatz.
Alte fette Kühe glotzen
Knechte und kauen
der Sündenerneuerung zu.

Im Schnabel
vernebelt ein Wurm,
höher und höher
sieht man ihn
verletzt verschwinden.
Tot ist er
erst nachher.


No. 17 Knaben- und Männerchor

Knabenchor:
Drumherum die Alten
in Trauerinseraten,
hinterlassen uns.
Wir demonstrieren
schöne, wahre,
gute Jugend und eilen
dem Gekachelten nach.

Männerchor:
Vonnutzen programmiert
jemand Sinn
ins Leben,
reckt den Schädel
und kündet:
"Cogito, ergo sum."
Applaus, allein aus Straßen
beulen grüne Pflanzen.
Das ist doch was.
Das ist was wie nie.

Knabenchor:
Irgendwelche werden
Großvater heißen
und längere Wege gehen.
Im OP transzendiert
eine Fruchtblase
zur Sprechblase.
Draußen ein Herzinfarkt
macht Luft für jede Menge
frischgebackenen Lärm,
jemandes Gehirn sinniert
herzlos in der Pathologie.

Männerchor:
Frisch eingesargt
piepst am Arm
eines Heimgegangenen
Die Uhr ein Weckspiel,
während Geburten registriert
und Ankünfte
annonciert werden.
Und ein freundlicher Händler
ölt Kaputtes.

Knabenchor:
Ein Astronaut geht seiner Wege.


No. 18 Schlußchor

Chor:
Jetzt beginnt die Zeit der Mähdrescher.
Wir raufen die Blüten
von den Wegen und schenken sie
uns gegenseitig
am Telegraphenmast.

Hoppla, da kommen wir!
Schafft die Kakerlaken von
den Bahren.
Später Tote werden still.

Es brühen die Forscherherzen
über der Winterindustrie.
Nur Schluß!
Es ist die Zeit
unterm Bruchstrich.
Wir lagern alle am Weg
in den Urknall.

Knabenchor zugleich:
Stille Tote sind wir
spätgeboren.
Wir schlafen tags
an den Schonbildern
und bedienen uns nachts
der Drähte.

Alt und Countertenor Solo:
Komm gib mir deine Hand
zur letzten Runde.
Wirf noch eine Münze in die Box.
S' ist Sperrstundenzeit,
der Wirt will die Gläser
aus den Gästen.

Chor:
Hoppla, Hoppla, Hoppla,
Fegt die Kakerlaken von
den Bahren.
Wir schlafen tags als Tote
und lagern nachts am Nichts.

Alt und Countertenor Solo zugleich:
Der Wirt will die Gläser aus den Gästen.

Knabenchor zugleich:
Später Tote werden still geboren.


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