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Knochenlese

Ein deutsches Oratorium

von  D o m i n i k  D o m b r o w s k i


Erster Teil

No. 1 Chor:

Allein, allein, allein
auf einem Arschvoll
Urnengrab,
ertappt von
Totenglocken ... du
Allein, allein, allein
von Särgen umringt:
Nun staune!
Da purzelt alles nur so
durch den Sand.

Später Tote
werden still geboren.

Etwas wie ein Käfer
huscht husch
husch vorbei
und benimmt sich
nicht mal falsch;
Nein,
wir sind da gar nicht so
voller Ekel,
nein, nein,
das Tier ist ja
irgendwie wunderbar.

Wir umkosen es selig
mit unseren
Biologiekenntnissen
- es mißlingt, wir genießen das
jetzt erst recht:
Und preisen:

O du geheime Welt
der Tiere,

O du letztes
Paradies!

Später Tote
werden still geboren.

Nun kommt einsam
ein Satellit geflogen,
Bewindet die
Verstorbenen
mit seinem silbernen Flügel,
Zauberhaft, zauberhaft, zauberhaft,
O unser Geist, allein
was der alles vollbringt,
O späte Scheiße
aus Gold !


No. 2 Alt und Countertenor Solo

Countertenor:
Man würde jetzt gern
wen ficken,
Sich ins Moos
hinunterbeugen,
mit wem auch immer
für eine heroische Stunde,
die dann den Bauch
voller Kinder hätte
und winkend
weit fort ginge,
alles großzöge,
allein in irgendwelche
Jahrzehnte hinein
voller Menschenkenntnis

und allem.

Alt:
Rasch rasch jetzt noch
eine Wolke Insekten
aus dem Parfüm geschüttelt,
durchschreitet man das
Bachnahe wie
Dorfweite
und hört einen
Sonntag lang
sogar seinen eigenen Schritt.
Allein, allein, allein
Grüßt man
manch Bessergestellten.
Vielleicht ist mal
ein Advokat dabei,
oder ein Märchenonkel
mit Schellenbaum und BMW ?

Beide:
Und schlägt sich eine Stechmücke
von der Stirn.
Und kann spazierengehen,
weil man einen Hund hat.


No. 3 Countertenor Solo mit Männerchor

Countertenor:
Alle, alle, alle
Betrachtungen meinem Auge
zuschreibend,
ergänze ich mein
Gewordensein.

Männerchor:
Zweitens kommt gewiß der Tod.

Countertenor:
Alle, alle, alle
Lichter blenden ihn
noch wie die Lampen
das Hinterste der Augen.

Männerchor:
Später Tote
werden still geboren.

Countertenor:
Diese Betrachtung
dem Zufall zuschiebend,
staube ich die Lampen ab.


No. 4 Sopran Solo

Ja, in einer günstigen Zeit
konnte man auch
mal Erdbeeren naschen
oder durch Beete gehen.

Einen Eichendorffreim
konnte man erinnern, wie:
Wenn der Hoppevogel
schreit, ach Herzmeinlieb.

Ohne daß es direkt
langweilig geworden wär.
Ach, da waren
die glücklichen Abende,
vor denen man etwas
erlebt hat und der Wein
im Magen geblieben war.

Und man sich sehnte

nach der Kindheit, die
schon so lange vorbei:
Wie teuer sind inzwischen
die Zigaretten geworden!


No. 5 Soli und Chor

Chor:
Mittags:
Das Flugzeug
versehrt den Himmel

Soli:
Und eine Walnuß
zergeht in einem Mund,
und eine Fliege,
die erlebt, verfängt
sich im Lampenstaub.

Chor:
Später Tote
werden still geboren.

Soli:
Mittag:
Das Flugzeug
entklammert sich
dem Schall.

Chor:
Und Nußscherben treiben
leis im Speichel fort.
Später dann die Fliege,

die Fliege dann...


Zum zweiten Aufzug des Oratoriums  Teil II der Knochenlese

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